Eine Pferdewanderung an der Grenzlinie zwischen den Welten ...
Ein Mann - ein Traum - ein Pferd
Von der Ostsee entlang der innerdeutschen Grenze bis zur Zugspitze
Reinhard Ehrich /
Vorwort (IGZD)
Am 4. August 1978 bricht ein Mann mit seinem Pferd "Bonjo" zu einer Wanderung mit
dem Ziel auf, das Land von Meereshöhe bis zum höchsten Punkt in 4 Etappen zu erwan-
dern. Beide werden die Strecke größtenteils zu Fuß und zu Huf nebeneinander erlaufen,
Bonjo meist nur das Gepäck tragend.
Die erste Etappe beginnt bei Brodten, nördlich Lübeck-Travemünde an der Ostseeküste
und führt über Lübeck bis zum Harz - eine entspannte Reise auf westlicher Seite der
innerdeutschen Grenze, die das Land von Nord nach Süd wie ein Band durchzieht und
sich daher anbot, erwandert zu werden - zumindest auf westdeutscher Seite. Hier gab
es nur vom Bundesgrenzschutz (BGS) aufgestellte rot-weiße und blau-weiße Grenzpfähle
und Hinweistafeln inklusive Wanderwegen im idyllischen Zonenrandgebiet der
Bundesrepublik.
Jenseits der westlichen Grenzmarkierungen, auf dem Territorium der Deutschen
Demokratischen Republik (DDR), sieht es hingegen ganz anders aus: Ein Erwandern
der Grenze, bewehrt mit vergrabenen Tretminen und Selbstschußanlagen an den
Metallgitterzäunen (bis 1984), ist verboten. Zwischen den Zäunen liegt der s.g.
„Todesstreifen“. Eine Reise entlang einer Grenze, welche Deutschland nach dem
2. Weltkrieg in zwei deutsche Staaten teilt - die Bundesrepublik und die
Deutsche Demokratische Republik. Eine Grenze, die Familien trennt aber auch die
beiden Militärbündnisse NATO und Warschauer Vertragsstaaten, bewaffnet bis an die
Zähne und sich gegenseitig mit Atomwaffen bedrohend. Entlang einer Grenze, welche
auch zwei gegensätzliche Klassensysteme - Kapitalismus und versuchter Sozialismus -
trennt und auf DDR-Territorium viele Todesopfer im Bereich der Grenze fordert.
Im Gedächtnis geblieben sind vor allem die wunderschöne Natur und viele interessante
Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen zwischen Ostsee und Zugspitze.
Und nun übergeben wir das Wort an den Autor …
Start auf dem Steilufer Brodten in Richtung NW.
Nach einigen hundert Metern geht es unten am
Strand in die entgegengesetzte Richtung
Mit Bonjo auf der Herrenbrücke in Lübeck,
welche bei Eröffnung 1964 die größte
Klappbrücke Europas war
Bonjo beim „Stoßdämpfertest“ des ADAC
Einleitung
Wenn Sie sich bis hierher durchgeklickt haben, dürften Sie zu der Spezies Mensch
gehören, die gern etwas tiefer graben und sich ein Bild von den Rahmenbedingungen
meiner Pferdewanderung durch Deutschland machen wollen. Gern will ich Ihrer Neugier
Nahrung geben und lade Sie hiermit zu einer Zeitwanderung durch die Entstehungs-
geschichte des größten Abenteuers meines Lebens ein - meiner "Bonjowanderung" von
der Ostsee bis zur Zugspitze/Alpen in 4 Sommern, wobei das Thema "Grenze" eher ein
Nebenprodukt war:
1978: Ostsee/Brodten (nördl. Travemünde) - Harz/Wurmberg, ca. 6 Wochen: 760 km
1981: Harz/Wurmberg - Dreiländereck/Hof, ca. 9 Wochen: 1130 km
1982: Dreiländereck/ Hof - Donau (Grenze D/A), ca. 5 Wochen: 760 km
1985: Donau - Alpen/Zugspitze, ca. 4 Wochen: 650 km
Gesamt: ca. 3300 km (95% zu Fuß)
Lübeck: "Guck mal Bonjo, solchen Mist lesen
die Leute!"
Lübeck: Ein letztes Auftanken in der
„Zivilisation“
Weitere Impressionen der Reisen …
Schwierige Frage: Benzin oder Diesel? Autobahnraststätte Frankenwald an der A9
Bonjo mit 2 freundlichen Zollgrenzbeamten in
Bayern. Die Dienstmütze musste er leider
wieder abgeben
Auf einem schmalen, wackeligen Steg. Bonjo ist mutig geworden
Bonjo am Fluß: „Da müssen wir durch? Ich bin doch kein Flusspferd!“
Auf der Autobahn zur Grenze in Richtung DDR. Nichts geht mehr,
aber schön ruhig hier!
Über der Autobahn. Idylle sieht anders aus …
Bonjo: „Zwei Bier bitte.“
Wirt: „Malzbier?“
Bonjo: „Natürlich nicht!
Ich bin doch ein
richtiges Pferd!“
Entlang der Donau in Passau
Da wartet noch immer jemand auf seinen Brief ...
Eine Haltestelle der „Kraftpost“. Wann kommt der
Postbus? Welch Leser weiß heute, das die
Deutsche Bundespost auch Personen beförderte?
>>> Wikipedia
In Mödlareuth mit Einheimischen vor der innerdeutschen Grenze
…. und dann ging es wieder bergab (was für ein Pferd erheblich unangenehmer ist, als
bergauf), wo uns bald darauf mein Studienfreund wie gehabt mit Auto + Pferdeanhänger
abholte und heil und gesund nach Hause brachte.
Und als mein treuer Studienfreund wieder da war, wir Bonjo gut im Pferdeanhänger
untergebracht und diesem freundlichen Ort (auch so kann Grenze aussehen!) Ade gesagt
hatten, ging damit die 3. Etappe glücklich zu Ende.
4. Etappe 1985: Donau (Grenze: D / A) - Zugspitze (ca. 1800 m): ca. 650 km
Aber jetzt war erst mal Schluß mit Bonjowanderungen. Unversehens waren wir eine
richtige 5-köpfige Familie geworden, die meine volle Aufmerksamkeit und Hingabe
erforderte und mir dafür Erfahrungen schenkte, die zur umfassenden Reifung eines
Menschenlebens wohl unerläßlich sind und für die ich mein Lebtag lang dankbar sein
werde.
Erst 1985 war dann der Moment gekommen, dem Gesamtprojekt die Krone aufzusetzen:
Das Erreichen der Zugspitze! Wieder brachte mich mein guter alter Studienfreund an den
Endpunkt der letzten Etappe - die Grenze zwischen Deutschland und Österreich an der
Donau. Und als dieser mit einer Staubwolke auf dem Sandweg am Fluß verschwunden
war und mir Bonjo durch heftiges Scharren mit dem linken (dort, wo das Herz sitzt)
Vorderhuf nachdrücklich versicherte, daß er gern mit mir unser großes Abenteuer
vollenden möchte, hieß es: Auf zur letzten Etappe!
Über Passau ging es den Inn aufwärts, dann rechts ab über Berg und Tal ... und nach ca.
4 Wochen kamen wir im Rheintal auf der rückwärtigen Seite der Zugspitze an. Vor uns
erhob sich der majestätische Berg und wenn man genau hinsah, konnte man sein
verwittertes Auge erkennen, das mit ungläubigem Blick auf die beiden kleinen Wanders-
leut dort unten zu seinen Füßen heruntersah und wohl sagen wollte: Was wollen die
denn hier? Die beiden kleinen Wandersleut aber waren fest entschlossen, ihn zu bestei-
gen so weit es eben ging und damit das gesteckte Ziel "Von 0 m Meeresspiegel auf die
höchste Erhebung in Deutschland - die Zugspitze!" zu erreichen. Und so kämpften sie sich
Meter für Meter höher, gel. auf holperigen Wegen, auf denen die schroffen Felsen aus
dem Boden ragten, oftmals verschnaufend und den Blick über das grandiose Panorama s
chweifen lassend …
Als wir an der Neuen Anger-Hütte/Reintalangerhütte auf 1366 m ankamen, gab es
einen kleinen Volksauflauf der Wanderer auf der Terrasse. Der freundliche Wirt, der mir
kostenlos [!] einige gute Dinge aus seiner Küche angedeihen ließ, sagte, daß er in all den
Jahren hier hoben zwar des Öfteren wohl Maultiere, aber noch nie ein Pferd gesehen
habe. Als Bonjo das hörte, zog er seine Schnute noch etwas breiter als normal - er war
offensichtlich sehr stolz!
... und beendeten dort die 1. Etappe am 6. September nach ca. 760 km Wanderung durch
die norddeutsche Tiefebene. Und als mein guter Studienfreund uns wieder mit Auto +
Pferdeanhänger auf dem Parkplatz am Wurmberg abgeholt hatte, gab es 2 glückliche
Wanderburschen mehr auf der Welt!
2. Etappe 1981: Harz - Dreiländereck: ca. 1130 km
Die nächsten 3 Jahre hatte Bonjo wohlverdienten Urlaub. Aber die Idee der
Bonjowanderung durch Deutschland ließ mich nicht los. Und so sattelte ich meinen
treuen Reisekameraden im August des Jahres 1981 erneut und setzte das große
Unterfangen mit der 2. Etappe ab Wurmberg/Harz nach Süden fort.
Bald darauf erreichten Roß & Reiter wohlbehalten den Harz
Weiter ging es auf dem Westufer der Elbe nach Süden und in weitem Bogen nach
Helmstedt, wo wir die Autobahn Hannover - Berlin überquerten.
Ein paar Tage später - die Dämmerung hatte gerade eingesetzt - schlug ich mein Zelt ca.
20 m vom Ufer des kleinen Grenzflüßchens Wakenitz auf, band Bonjo mit der 8 m langen
Weideleine an einen alleinstehenden Baum mit viel Gras für das Abendmahl drum
herum und freute mich auf mein allabendliches Mahl: Ungarische Salami + 1 Fläschchen
Bier (meine tägliche Verpflegung bestand aus Frühstück (Müsli mit div. Trockenfrüchten
+ Milch) und dem hier genannten Abendbrot - kein Mittagessen) ... als mich das Knacken
eines Zweiges auf der anderen Seite der Wakenitz aufblicken ließ: Neben einem
Weidenbusch stand ein DDR-Grenzsoldat mit einer Kleinbildkamera und machte in
schneller Folge einige Aufnahmen von uns. Meine mehr oder weniger freundliche
Ansprache blieb ohne Antwort und so unauffällig wie er gekommen war, verschwand er
wieder. Das war mein einziger direkter Kontakt mit den DDR-Grenztruppen.
Jahre später, nach der Wende, bat ich um Prüfung, ob beim ehem. Ministerium für
Sicherheit (MfS) der DDR irgend welche Unterlagen über mich existierten. Daraufhin
schickte man mir einige Fotokopien mit div. Fotos ... darunter auch die von der Wakenitz.
Und das Erstaunliche: Darunter stand mein voller Name mit der damaligen Adresse in
West-Berlin. Ja, das muß man den Jungs lassen - sie haben sehr professionell gearbeitet!
Leider haben Sie ihre Fähigkeiten eingesetzt, um ihrer eigenen Bevölkerung die
Grundrechte einer modernen Demokratie vorzuenthalten.
Mein Nachtlager bestand während dieser ersten Etappe aus 2 aneinandergeknöpften
und zwischen 2 Bäumen aufgespannten Ponchos, mit der Schrägseite gegen
Wind & Wetter. Das hatte jedoch den Nachteil, daß bei nächtlicher Änderung der
Windrichtung der Regen geradewegs auf meine Schlafseite kam. Das wurde dann immer
eine recht kurze Nacht ...
Nach der Durchquerung von Lübeck kamen wir bald an die Trennlinie der Welt - die
deutsch-deutsche Grenze
Beim allherbstlichen "Stollenreiten", bei dem etwa 10 Bauernjungen ihre besten Renner
im Stall schön gestriegelt hatten und mit einer Decke als Sattelersatz geschmückt im
wilden Galopp über das Stoppelfeld jagten (manch einer landete stattdessen auf einem
nahegelegenen Waldweg, weil der Gaul nun mal mit dem vom Reiter angestrebten Ziel
nicht einverstanden war) - bei diesem Volksvergnügen erster Güte also war ein Pferd
über die letzten Jahre immer Sieger geblieben: Bento! Und Bento gehörte dem Bauern,
dessen Pferde ich täglich auf die Koppel ritt. Der Wunsch, e i n m a l auf Bento ganz
nach meinen Vorstellungen, frei und ohne Ziel, durch die Felder und Wiesen zu streifen -
ein Traum, der mich so manch schlaflose Nacht kostete - dieser Traum ging nie in
Erfüllung. Zu gefährlich schien dem guten Mann ein solches Unterfangen des
Dreikäsehochs.
II - Der 22-jährige Europa-Tramper
Und nun bitte anschnallen! Ich lasse unseren Fliegenden Teppich im Überschall durch
die Zeit fliegen ... und so landen wir im Jahre 1967: Der junge Studiosus hat seit seinem
Schülerleben mit dem "Affen" (Tornister der Soldaten im 1. Weltkrieg), Luftmatratze
und Schlafsack Nord-, West-, Südeuropa (Schweden, Irland, Spanien, Marokko,
Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland) intensiv per Anhalter bereist und dabei
Deutschland auf dem kürzesten Wege bis zur nächsten Grenze immer nur aus dem Auto-
fenster gesehen. So erwachte ich eines fortgeschrittenen Morgens (ach ja, diese
Studenten ...!) im Frühling jenen Jahres mit dem folgenden Gedanken: Immer bin ich
durch mein eigenes Land nur mit einem halben Auge und in technischer Windeseile
gesaust ... Es ist doch aber so ausnehmend schön und einladend, daß ich es einmal mit
menschlicher Geschwindigkeit und meinen Sinnen gemäß bereisen, sprich: erwandern
möchte!
Und da es meine Art ist, große Bögen zu spucken, war bald die Idee geboren,
Deutschland in Direttissima - von Nord nach Süd - zu durchwandern. Gedacht - getan,
ging es an die Vorbereitungen dieses Vorhabens. Bald aber wurde mir klar, daß das
Tragen eines ca. 25 kg schweren Rucksacks (inkl. Zelt, Kleidung, Proviant, Kamera) in der
Sommersonne über Stock & Stein, bergauf - bergab doch ein recht mühsames
Unterfangen werden könnte. Da kam wie aus heiterem Himmel plötzlich die Eingebung
über mich: Das mache ich mit einem Pferd, das meine Sachen - und gel. auch mich -
trägt und ich führe es! Und so ist es tatsächlich später gewesen: Die gesamte Strecke bin
ich zu ca. 90 % nebenher gelaufen und nur in besonderen Fällen (Durchquerung eines
Wasserlaufs, hohe Brennesseln o.ä.) saß ich im Sattel.
Aber für die nächsten 10 Jahre blieb all dies nur ein Traum: Studienabschluß, berufliche
Meander, persönliche Unternehmungen ...
III - Der 34-jährige Pferdewanderer
Als ich 1977 Verwandten eines Berliner Schulfreunds, die ein Gestüt an der Elbe-
mündung betrieben, eher beiläufig von diesem alten Traum erzählte, meinten diese,
es gäbe auf einem Nachbarhof einen passenden Wandergesellen für mich, der für dieses
Abenteuer bestens gerüstet ist: Halbblut aus Haflinger (nördliche Rasse, widerstands-
fähig, futtermäßig anspruchslos) & Hannoveraner (etwas Feuer im Blut). Und so kam
ich zu meinem Bonjo!
Die entspr. Ausrüstung (Zaumzeug, Sattel - sehr solide aus dem 2. Weltkrieg mit
dem Einbrand "Breslau 1941", Zeltrolle mit Schlafsack, Luftmatratze, Stiefel und 2 Pack-
taschen links und rechts) war auch bald gefunden und nach einer Probetour durch die
Lünbeburger Heide im Sommer gleichen Jahresüber ca. 470 km, die mir noch einige
Erkenntnisse zu praktischen Fragen brachte, entschied ich mich zum Beginn der großen
Wanderung im Sommer 1978.
Die Frage, welche Wege ich gehen wollte, war schnell geklärt: Gegenüber der
Alternative, mitten durch das Land zu laufen, was mir doch streckenweise recht eintönig
erschien, war die Wanderung entlang der Grenzlinie zwischen den zwei großen ideolo-
gischen Welten auf deutschem Boden viel interessanter. Da man mir nach Abschluß der
Grundschule in dem kleinen Dorf in der DDR trotz guter Noten den Besuch der
Oberschule mit der Begründung verwehrte, mein Vater sei West-Berliner und für Kinder
von Westbürgern sei eine höhere Schulausbildung in der DDR nicht vorgesehen, war ich
1959 nach West-Berlin übergesiedelt und hatte das Glück, in einem evangelischen
Schülerheim aufgenommen zu werden und meine Schulausbildung dort fortzusetzen.
So war die Entscheidung, meine Wanderung an der inneren Grenze meines Heimat-
landes, deren beide Teile ich durch meine eigene Vita real und bewußt erlebt hatte, auch
ein Versuch, die real-existierende politische, ideologische und humanitäre Schizophrenie
dieses Landes wahrzunehmen und wie auch immer zu begreifen.
Da ich zur selben Zeit das Studium der Fotographie an der Fachhochschule für
Gestaltung in Dortmund begonnen und von meinem Vater eine Leica M3 und einen
sehr guten Handbelichtungsmesser (Lunasix-3) geerbt hatte, war ich für diese
Wanderung fototechnisch bestens ausgerüstet. Allerdings war die simultane
Handhabung von Belichtungsmesser + Kamera + Pferd im fotographisch entscheidenden
Moment in der Praxis nicht immer ganz leicht ...
Als Startpunkt hatte ich den kleinen Ort Brodten an der holsteinischen Ostseeküste
etwas nördlich von Travemünde auserkoren, wohin uns ein Studienfreund mit Auto +
Pferdeanhänger brachte.
Und dann ging es am 4. August los!
1. Etappe 1978: Ostsee - Harz: ca. 760 km
Dann ging es nach Süden unmittelbar an der Grenzlinie entlang, die durch rot-weiße bzw.
blau-weiße Kunststoffpfähle mit einer Höhe von ca. 2 m Höhe und im Abstand von jew.
ca. 50 m markiert war. Unsere tägliche Strecke betrug ca. 20 - 25 km. Tage mit Dauer-
regen verbrachte ich im Zelt oder besorgte neuen Proviant in der nächsten Ortschaft. Auf
genaue Orientierung hatte ich großen Wert gelegt: Geschummerte Meßtischkarten im
Maßstab 1 : 50.000 und der Kompass in der rechten Hosentasche meiner alten Bundes-
wehrschlosserhose (mit verstärkter Sitzfläche - ideal!) ließen mich immer genau wissen,
wo ich mich gerade befand. Eine Vorgabe habe ich auf der gesamten Strecke entlang der
DDR-Grenze absolut eingehalten: Unter keinen Umständen darf die Fluchtlinie zwischen
den o.g. Grenzpfählen in östlicher Richtung überschritten werden, um Kritik von
jedweder Seite auszuschließen. Dieses eherne Gesetz habe ich zu 100 % eingehalten,
auch wenn es gel. einen Umweg von mehreren Kilometern bedeutete.
In Lauenburg an der Elbe angekommen, ließ ich es mir nicht nehmen, mich an der Stelle
ablichten zu lassen, an der ich oft als West-Berliner Schüler beim Trampen (Autostop) in
den Ferien nach Berlin zurück gestanden hatte - die Grenzkontrollstelle Lauenburg.
Da die Grenzlinie in den Mittelgebirgen oft Bächen oder kleinen Flüßchen folgt und ich
mir zum Ziel gesetzt hatte, immer unmittelbar dieser Linie zu folgen, wurde es eine
ausgeprägte Meandertour mit großen Schleifen, die letztlich per Luftlinie nur wenige
Kilometer weiter nach Süden betrug, in der Realität aber oft durch schwieriges Gelände
führte, das zu ausladenden Umgehungsmanövern zwang. Daraus ergab sich letztendlich
die längste Etappe mit ca. 1130 km in rund 9 Wochen bis wir Anfang Oktober am
Dreiländereck ankamen und dort wieder abgeholt wurden.
3. Etappe 1982: Dreiländereck - Donau (Grenze: D / A): ca. 760 km
Der Unterschied zwischen der hinter mir liegenden
martialisch befestigten Grenze der DDR und der der CSSR
konnte größer nicht sein: Nach Metallgitterzaun,
Todesstreifen, Minenfeldern, Selbstschußanlagen,
Wachtürmen, Schäferhundbewachung, Scheinwerfern und
weiteren Einrichtungen war die CSSR-Grenze fast nicht als
solche zu erkennen; hier und da stand ein etwas
angerostetes Schild hinter einem grasbewachsenen,
kleinen Graben ...
Nach den wenig erfreulichen Erfahrungen auf der 1. Etappe mit den beiden Ponchos
zwischen den Bäumen (s.o.) hatte ich jetzt ein viel komfortableres Nachtquartier: wind-
& regengeschützt, schnell auf- & abgebaut, mücken- & mäusesicher, leichtes Gewicht,
geringes Volumen im zusammengepackten Zustand und in naturgrüner Tarnfarbe: ein
Zelt + Luftmatratze + Schlafsack.
Copyright © by IGZD / R. Ehrich.
Alle Rechte vorbehalten
Auf etwa 1550 m, wo die Wanderer zwar mit einem großen Schritt eine steile, felsige
Stelle des Weges überwinden konnten, mein guter Bonjo sich dabei jedoch eine
Knieverletzung holte, war damit für uns hier endgültig Schluß. So machten wir noch
ein "Gipfelfoto" ...
So hatte sich mein Kindheitstraum
nach 30 Jahren doch noch erfüllt:
Mit einem Pferd frei durch die
Natur zu streifen.
Wie wichtig ist es doch,
Kindheitsträume zu
verwirklichen!
Aber unsere "Grepo" (BGS) hat auch nicht geschlafen. Eines tauchte Tages hinter einem
Waldstück wie aus dem Nichts ein Geländewagen auf. Offenbar hatte ein aufmerksamer
Landmann an der Grenze eine dubiose Gestalt mit Pferd durch die Büsche streifen sehen
und es für nötig gehalten, die Staatsgewalt nach dem Motto einzuschalten: "Man weiß
ja nie ...". Nach detaillierter Befragung nach dem Woher - Wohin - Warum wich die
anfängliche amtliche Strenge aber bald einem interessiert-neugierigen Gespräch mit
freundlichem Begleitton. Ab dann war ich über den BGS-internen Funk offenbar nach
Süden hin angekündigt worden, denn immer wieder mal wurde ich mit den Worten
begrüßt: "Ach da kommt ja unser Grenzreiter!" und dann mußte ich wieder meine
Geschichte erzählen ...
So bummelten wir denn ganz den Schönheiten der uns umgebenden Natur hingegeben
weiter nach Süden durch das Fichtelgebirge, den Bayerischen Wald, stiegen auf den
Großen Arber (1456 m) und kamen eines Tages am Ufer der Donau an, wo ein kleines
Hüttchen, ein Schlagbaum und ein Schild "Freistaat Bayern" auf eine eher humorvolle
Weise darauf aufmerksam machten, daß hier zwei Länder aneinandergrenzten. Aber
was war das für eine ganz andere Grenze!
Ausgewählte, georeferenzierte Fotos unserer Wanderung entlang der innerdeutschen
Grenze finden Sie in höherer Auflösung, optimiert zur Ansicht am Desktop-PC, hier.
I - Der 11-jährige Cowboy
Wenn Sie wissen wollen, wie das alles begann, dann kommen Sie mit auf dem Fliegenden
Teppich in das Jahr 1956:
Die größte Freude des 11-jährigen Bengels in einem kleinen Dorf am Schwielochsee
in der Nähe des Spreewalds ist das abendliche Hinausreiten von 2 Pferden und Fohlen
nach der mühevollen Tagesarbeit auf die ca. 2 km entfernt gelegene Koppel, wo sie des
Nachts ausgiebig grasen und er sie am nächsten Morgen wieder zurück zum Hof reitet.
So ging das tagein - tagaus den lieben, langen Sommer lang ...
… und wohin geht die Reise jetzt?